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Gespräche
Literatur und Peripherie
Ungeläufige Sprachfelder
Peripherie, kein Zweifel, ist ein schillernder Begriff. In der Geographie benennt er räumliche Disparitäten und steht im Gegensatz zum Zentrum. In der Mathematik ist die Peripherie der Umfang eines Kreises, was der griechischen Ursprungsbedeutung – herumtragen, herumdrehen – sehr nahe kommt. Dass der Kreis erst dank dem Umriss zur Gestalt wird, zeigt zugleich die Unmöglichkeit, die Begriffe ohne einander zu denken. Das Thema entsprang gleichwohl keiner sprachtheoretischen Überlegung, sondern einem zufälligen Dialog auf Facebook zwischen Autoren aus Berlin und Autoren abseits der Hauptstadt. Kann nur der, der in die metropole Dimension eintaucht und das beschleunigte, fragmentierte Dasein aus eigener Erfahrung kennt, auf der Höhe der Zeit dichten?
Christoph Wenzel und Jürgen Nendza leben in Aachen. Sie schätzen das literarisch vitale Berlin, wollen aber die Distanz. Wichtig ist ihnen die Sprachverortung: So schöpft Christoph Wenzel aus einem Reservoir dialektaler Besonderheiten der geographischen Randlage und bekennt sich zu einem Sprechen vom Rand der Sprache her. Jürgen Nendza, dessen letzter Gedichtband vom Hohen Veen in der Eifel inspiriert ist, spricht über die Einbindung ungeläufiger und vergessener Sprachfelder. Auch Elke Erbs Essay handelt von einer randständigen Sprache in unserem Land, dem Sorbischen, das als Sprache einer Minderheit lange unterdrückt wurde. Im 13. Jahrhundert bereits berichtete der Sachsenspiegel, dass Sorben, die vor Gericht schon einmal deutsch gesprochen haben, in späteren Fällen nicht mehr ihre Muttersprache gebrauchen dürfen.
Der Lyriker Crauss lebt und arbeitet in Siegen und fragt sich augenzwinkernd, was eigentlich die guten Seiten an dieser Stadt seien. Manches fällt ihm ein: Er berichtet von örtlichen Initiativen und von Autoren, die hier vielleicht dauerhafter Freundschaft schließen als in der Metropole. Dabei ist für ihn die Überregionalität von Buchmessen, Zeitschriften und Internetseiten unabdingbar. Gewissermaßen umgekehrt verhält es sich bei José F.?A. Oliver, der einfach die große literarische Welt in die Provinz holt und den Hausacher LeseLenz ins Leben rief.
Bartoszyce, Ermland und Masuren sind die ursprünglichen Heimatorte von Artur Becker, Orte, in denen auch seine Romane spielen. Erlebnisse wie die Emigration werden aus dem zeitlichen und räumlichen Abstand literarisch gestaltbar. Jeder Ort, so Artur Becker, eignet sich für die Dichtung. Er skizziert das Bild eines mittelalterlichen Gauklers, der von Dorf zu Dorf zieht – tatsächlich reist er im ICE von Ort zu Ort. Ein Kosmopole, ja, ein Bewohner von »Kosmopolen«.
Mit Max Czollek, der zurzeit an einer Dissertation mit dem Titel Das antisemitische Dispositiv arbeitet, erreichen wir die Philosophie. Er geht um Celan und Heidegger und um die Sprache, in der sich die Geschichte spiegelt. Zwingend fällt hier der Name Victor Klemperer, der sich in seinem philologischen Notizbuch Lingua Tertii Imperii mit Begriffen beschäftigt, die die Nationalsozialisten mit ihren ideologischen Vorstellungen besetzten. Allerdings könnte die deutsche Sprache, so eine These des Gesprächs, unbeschadet im Gepäck mancher Emigranten überlebt haben, jenseits von der Vernutzung und nationalsozialistischen Zerstörung.
Hinter der Autorin Aléa Torik steckt der 47jährige Claus Heck, der mit verschiedenen Pseudonymen experimentierte. So wenig Beachtung er ursprünglich als Autor fand, so groß war der Erfolg unter der neuen Identität. Insbesondere der Weg aus Marginime – einem Dorf in Rumänien – ins Zentrum wird von ihm im Roman thematisiert. Er sieht in der Aufmerksamkeit einen wichtigen Aspekt für die eigene literarische Weiterentwicklung. Die große Zahl jener, die veröffentlichen wollen, stehe in keinem Verhältnis zur geringen Zahl jener, die gefördert werden. Hier scheint es eine besondere Peripherie zu geben, die Peripherie der Schreibenden, denen es nicht gelingt, ins Zentrum der allgemeinen Wahrnehmung vorzurücken.
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