POET NR. 13 INHALT COVER ORDERN ET CETERA

 
Literatur und Alltag

Fünf Gespräche

Biogrpahie null?


Liane Dirks

Nicht immer gelingt es, Realität und Fiktion aus­einander­zuhalten. Der Autor lebt gleich­sam in zwei Sphären, der mehr oder weniger unauf­ge­regten All­tags­welt und der produz­ierten Fiktion. Wie viel­fäl­tig beide verknüpft sind, ist Gegen­stand unserer Gespräche. Da geht es um die kleinen Rituale, die den Schreib­all­tag beglei­ten – Zigarette anzünden, zum Brief­kasten gehen – bis hin zu exis­ten­ziellen Lebens­erfah­rungen, die bewusst oder intuitiv und modi­fi­ziert Eingang in den Text finden. Gerade beim Roman­autor, der größere Text­mengen zu bewältigen hat, geht es auch um die Regel­mäßigkeit – oder sagen wir: den all­täg­lichen Fort­schritt – des Schreibens. Walter Benjamin spielte darauf an: »Nulla dies sine linea – wohl aber Wochen.«
  Es ist üblich, dass Figuren andere Namen tragen als ihre Autoren oder jene Personen, die sie möglicherweise zum Vorbild habe. Liane Dirks verzichtet in ihrem Roman Vier Arten meinen Vater zu beerdigen darauf, die Haupt­figur, ihren Vater, mit einem erfun­denen Namen zu maskieren. Dabei beruft sie sich auf Michel Houellebecq, der immer wieder Personen der Medienwelt unter Realnamen in seinen Romanen auftreten lässt. Natürlich kann es auch umgekehrt geschehen, dass die Autorin eine Figur frei erfindet, in der eine existierende Person sich dann gespiegelt sieht.
  Für Christoph Nußbaumeder ist Alltag zunächst nur das, was täglich passiert. Er sucht hier nicht wissend nach verwertbaren Eindrücken oder mensch­lichen Originalen, die seine Stücke bereichern. Doch Erlebnisse in der Kneipe oder im Taxi können anregen. Wesentlich dabei ist letztlich die Zuspitzung, die sprachliche Formung, die ein Thema zu Literatur werden lässt.
  Alltag ist auch Alltag jenseits des Schreibens oder vor dem Schreiben, Kindheit und Jugend beispielsweise. Jayne-Ann Igel schildert ihre Lese­erleb­nisse in der DDR, wo es ihr als Mitarbeiterin der Deutschen Bücherei möglich war, Neu­erschei­nungen aus Ost und West zu lesen. Prägend war für sie über das Literarische hinaus die landschaftliche und industrielle Topographie, der Rauch über den Tagebaulandschaften. Das Schreiben braucht Erfahrungs­werte und muss sich für Jayne-Ann Igel mit Sinnlichem verknüpfen, so dass sie nur über Dinge schreiben kann, die sie auch wahrgenommen hat.
  Dass man sich mit einem Autor auf einer Pferde­rennbahn zum Interview trifft, darf als Zeichen für gewisse – alltägliche? – Leidenschaften gedeutet werden. Oder sind Pferderennen wichtig fürs Schreiben? Literatur ist Stil und Fiktion, Struktur und Plot. So Clemens Meyer. Und Bio­graphie null. Es ist verständlich, dass ein Autor, dem man sich gern biographisch nähert und der stets mit dem Leipziger Osten in Verbindung gebracht wird, darauf hinweist, dass alles Biographische fürs Schreiben nichtig ist, wenn man nicht das Handwerkliche beherrscht. Sehr wahr. Eine Ein­schätzung, der sich sicher kaum ein Autor verweigern kann.

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Gespräche mit Liane Dirks, Sabine Peters, Christoph Nußbaumeder, Jayne-Ann Igel und Clemens Meyer.
 
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