Dirk Baumeister und Frank Ruf
vorgestellt von Christian Schloyer
Ich staune, dass noch kein kollektiver Aufschrei durch die Bevölkerung geht: Volkswirtschaften werden zugrunde gerichtet, die Interessen von Arbeitnehmern, Rentnern und Bedürftigen verraten, die Zukunft unserer Kinder vertan, die europäische Idee (lange Garant für Wohlstand und Frieden) torpediert. Das ist kein Unfall, das hat System: Die Eliten profitieren – und die anderen sollen diese Vorgänge schlucken, als wären sie »alternativlos«.
Zwar bin ich ein politischer Mensch – doch in der Kunst hierzulande misstraue ich dem Politischen. Damit geht hier der Künstler kein Risiko ein, eckt nicht an. Im Gegenteil: Wird da nicht die Sehnsucht nach »Verständlichkeit« (das beruhigt) und nach »Orientierung« (dient der Selbstbestätigung) bedient? Wenn die Lebenswirklichkeit eines Autors nicht glaubhaft vom Politischen tangiert (= verletzt) wird, erstarrt das Politische zur wichtigtuerischen Pose.
Aber: zu einem Autor kann eine authentisch politische Grundhaltung gehören. Auf der Suche nach politischen / geschichtlichen Zwischentönen bin ich auf zwei Dichter gestoßen, deren Texte mich seit Jahren beschäftigen: Dirk Baumeister und Frank Ruf, zwei bisher kaum vernommene Stimmen in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik.
»wenn die juristen den rhythmus // durcheinander. werde ihnen heute // gleich erkleren, dass das nicht geht so«, schreibt Baumeister (»eine halbe gute nacht«, 2012). Das wirkt auf den ersten Blick naiv. Was interessiert die Mächtigen die private Ordnung, der Rhythmus dieses lyrischen Ichs? Da kann dieses wohl »erkleren« was es mag – die Welt dreht sich weiter, auch wenn’s dem Ich ganz schlecht wird dabei.
Das Private, die eigene Weltsicht, die sich bei Baumeister poetisch und verschroben eine ganz eigenartige Unschuld bewahrt, kollidiert mit dem Öffentlichen: mit Unpässlichkeiten, »lecherlichkeiten« und Themen, die das Künstler-Ich tagtäglich beschäftigen und zermürben. Die Poesie ist hier kein Heilmittel, sondern dokumentiert die (eigene) Hilflosigkeit, »weil dasss Politiker noch immer keine gedichte im handgepeck // war klar« (»krieg«, 2002)
Dabei sollte man sich über die Natur dieser vermeintlichen Naivität nicht täuschen! Sie ist nicht nur Indiz für mutige Authentizität und Leidensdruck an der Schwelle zur Selbstentblößung – sie ist ein äußerst probates Mittel zur Bloßstellung der Welt und ihrer Grausamkeiten. Dabei ist Baumeister niemand, der neue Zusammenhänge aufdecken und gänzlich Unerhörtes verkünden will. Nein, er macht Fakten – auf seine Weise – fühlbar. Er erzeugt Notwendigkeit in einer fast intimen Berührung und Teilhabe, die oft genug schmerzlich, seltener auch tröstlich ist.
Ganz anders Frank Ruf. Seine Auseinandersetzung mit dem »Politischen« ist auf den ersten Blick kolossal komisch. Dadaistische Anklänge werden im »voodoo«-
Zyklus (2010) besonders deutlich. Gedicht für Gedicht tritt hier der »Hexer« auf, der als Personifikation des Absurden unserer Gegenwart viel zu tun hat: »güterzüge voller banknoten // jagt er durch die glasfasern«, »mit einem altarkuss // eröffnet er die spiele« und »genüsslich schmiert er // compliance-creme // auf die fältchen // seiner kritiker«, »während er abends // über dem nadelwald schwebt // und junge frauen förstert.«
Dank diesem Schabernack verweigert Ruf den allzu eindeutigen Hebel, mit dem seine Gedichte 1:1 in politische Botschaften aufzulösen wären. Bezeichnend sind die Freude am assoziativen Amoklauf, die überschäumende Sprachlust und die bildreichen Albernheiten, die einem Drogentrip entstammen könnten. Diese Gedichte machen Spaß – und erfüllen mich als Leser mit Schadenfreude, sobald ich eine politische Anspielung entdecke.
Christian Schloyer
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