POET NR. 13 INHALT COVER ORDERN ET CETERA

 
Dirk Baumeister und Frank Ruf
vorgestellt von Christian Schloyer



Ich staune, dass noch kein kollektiver Aufschrei durch die Bevölkerung geht: Volks­wirt­schaften werden zugrunde gerichtet, die Interessen von Arbeit­nehmern, Rent­nern und Bedür­ftigen verraten, die Zukunft unserer Kinder vertan, die euro­päische Idee (lange Garant für Wohl­stand und Frieden) torpediert. Das ist kein Unfall, das hat System: Die Eliten profi­tieren – und die anderen sollen diese Vor­gänge schlucken, als wären sie »alternativlos«.
  Zwar bin ich ein politischer Mensch – doch in der Kunst hierzulande misstraue ich dem Politischen. Damit geht hier der Künstler kein Risiko ein, eckt nicht an. Im Gegenteil: Wird da nicht die Sehnsucht nach »Ver­ständ­lich­keit« (das beruhigt) und nach »Orien­tierung« (dient der Selbst­bestä­tigung) bedient? Wenn die Lebens­wirk­lich­keit eines Autors nicht glaubhaft vom Politischen tangiert (= verletzt) wird, erstarrt das Politische zur wichtigtuerischen Pose.
  Aber: zu einem Autor kann eine authen­tisch politische Grund­haltung gehören. Auf der Suche nach poli­tischen / geschicht­lichen Zwi­schen­tönen bin ich auf zwei Dichter gestoßen, deren Texte mich seit Jahren beschäf­tigen: Dirk Baumeister und Frank Ruf, zwei bisher kaum ver­nommene Stimmen in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik.
  »wenn die juristen den rhythmus // durcheinander. werde ihnen heute // gleich erkleren, dass das nicht geht so«, schreibt Baumeister (»eine halbe gute nacht«, 2012). Das wirkt auf den ersten Blick naiv. Was interes­siert die Mächtigen die private Ordnung, der Rhythmus dieses lyrischen Ichs? Da kann dieses wohl »erkleren« was es mag – die Welt dreht sich weiter, auch wenn’s dem Ich ganz schlecht wird dabei.
  Das Private, die eigene Weltsicht, die sich bei Baumeister poetisch und verschroben eine ganz eigenartige Unschuld bewahrt, kollidiert mit dem Öffent­lichen: mit Unpässlichkeiten, »lecherlichkeiten« und Themen, die das Künstler-Ich tagtäglich beschäftigen und zermürben. Die Poesie ist hier kein Heilmittel, sondern dokumentiert die (eigene) Hilf­losig­keit, »weil dasss Politiker noch immer keine gedichte im handgepeck // war klar« (»krieg«, 2002)
Dabei sollte man sich über die Natur dieser vermeintlichen Naivität nicht täuschen! Sie ist nicht nur Indiz für mutige Authen­tizität und Leidens­druck an der Schwelle zur Selbstentblößung – sie ist ein äußerst probates Mittel zur Bloß­stellung der Welt und ihrer Grau­samkeiten. Dabei ist Baumeister niemand, der neue Zusammen­hänge aufdecken und gänzlich Unerhörtes verkünden will. Nein, er macht Fakten – auf seine Weise – fühlbar. Er erzeugt Notwendigkeit in einer fast intimen Berührung und Teilhabe, die oft genug schmerzlich, seltener auch tröstlich ist.
  Ganz anders Frank Ruf. Seine Auseinandersetzung mit dem »Politischen« ist auf den ersten Blick kolossal komisch. Dadais­tische Anklänge werden im »voodoo«-Zyklus (2010) besonders deutlich. Gedicht für Gedicht tritt hier der »Hexer« auf, der als Personi­fika­tion des Absur­den unserer Gegenwart viel zu tun hat: »güterzüge voller banknoten // jagt er durch die glasfasern«, »mit einem altarkuss // eröffnet er die spiele« und »genüsslich schmiert er // compliance-creme // auf die fältchen // seiner kritiker«, »während er abends // über dem nadelwald schwebt // und junge frauen förstert.«
  Dank diesem Schabernack verweigert Ruf den allzu eindeutigen Hebel, mit dem seine Gedichte 1:1 in politi­sche Bot­schaf­ten aufzu­lösen wären. Bezeich­nend sind die Freude am asso­ziativen Amok­lauf, die über­schäumende Sprach­lust und die bild­reichen Albern­heiten, die einem Drogen­trip ent­stammen könnten. Diese Ge­dich­te machen Spaß – und erfüllen mich als Leser mit Schaden­freude, sobald ich eine politi­sche Anspielung entdecke.

Christian Schloyer

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Christian Schloyer wurde 1976 in Erlangen geboren, wo er auch studierte und die Autorengruppe und Schreib­werk­statt Wortwerk gründete. Heute lebt er als Schriftsteller in Nürnberg und arbeitet als Werbe­texter in Schwab­münchen. Er war Preis­träger beim open mike und erhielt den Leonce-und-Lena-Preis. 2007 erschien sein Lyrikband spiel · ur · meere (kookbooks), 2012 der Band panik · blüten (poetenladen Verlag).
 
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